Als Luca Bös das erste Mal eine Teppichreinigung betrat, staunte er über die vielen Reinigungsmaschinen. Bis dahin hatten sich der Betriebswirt und sein Studienfreund Janis Curtius wenig Gedanken über die Arbeit von Textilpflegern gemacht. Was die beiden 2018 in den Betrieb von Thomas Runte in der Nähe von Frankfurt führte, war ihre Geschäftsidee: eine Onlineplattform, über die Kunden Flokatis, Läufer und Vorleger digital zum Reinigen aufgeben können.
Den Anstoß gab ein alter Orientteppich. „Den hat Janis geerbt und wollte ihn waschen lassen“, erzählt Bös. Doch das war leichter gesagt als getan. Der heute 27-Jährige fand auf die Schnelle keinen Anbieter. Nicht etwa, weil es keine gäbe, sondern, weil Curtius außerhalb der gängigen Öffnungszeiten keine Anlaufstelle fand. Die Idee für JL-Clean war geboren. Zu diesem Zeitpunkt spielten die Bankangestellten längst mit dem Gedanken, ein Start-up zu gründen. Das theoretische Fundament bot ein duales BWL Studium. Praxiswissen aus dem Bereich Textilpflege hatten sie bis dato keine. Also suchten die Frankfurter nach regionalen Betrieben und kamen so nach Bruchköbel – in die Runte Teppichreinigung.Was Thomas Runte, Geschäftsführer der Runte Teppichreinigung, an jenem Tag gedacht hat, als die beiden motiviert, aber ahnungslos in Sachen Teppichpflege seinen Laden betraten, weiß er nicht mehr. Aber, Bös und Curtius waren ihm sympathisch. Und: „Ich war als junger Unternehmer auch recht dankbar, wenn mir geholfen wurde.“ Zudem sah der 39-Jährige in der Vision die Möglichkeit, einen neuen Vertriebskanal für sich aufzubauen. Also setzten sich die drei Männer zusammen. Bevor die jungen Unternehmer eine neue Website bauen konnten, mussten sie erst einmal alle Prozesse und Strukturen einer Teppichreinigung verstehen. Dazu zählt Bös Routenpläne ebenso wie Preiskalkulationen. „Thomas Runte war dabei sehr geduldig“, betont er, „und als Vorsitzender des Arbeitskreises Teppichwäscher (ATW) des Deutschen Textilreinigungs- Verbands (DTV) der ideale Ansprechpartner“. Um eine möglichst praxisnahe Vorstellung von der Branche zu bekommen, klopften die Gründer darüber hinaus weitere Betriebe rund um Frankfurt ab. Ihr Ziel: professionellen Anbietern wirklich helfen, online Kunden zu gewinnen.
Bis ein erster Pilot der Website stand, verging ein Jahr. Seit 2019 vermittelt die Plattform Kunden. Um die Anwendung aufzubauen, investierten Bös und Curtius einen mittleren fünfstelligen Betrag. Zehn Partnerbetriebe arbeiten aktuell mit dem Start-up zusammen. Wer heute die Website www.jl-clean.de aufruft, findet unter dem Reiter „Teppichreinigung“ eine Liste alphabetisch sortierter Städte von Berlin bis Wuppertal. Das Einzugsgebiet deckt laut Bös weitaus mehr Fläche ab, als die 38 gelisteten Orte vermuten ließen. In Bezug auf Postleitzahlen betrachtet, könnten sogar zwei Drittel aller Deutschen den Service von JL-Clean nutzen.
Die Anwendung hinter der Plattform ist simpel. Hinter jeder Stadt verbirgt sich ein Kostenrechner. Zur Auswahl stehen verschiedene Gewebe wie Velours, Berber, Shaggy oder Seide. Kunden klicken das entsprechende Feld an. Über einen darunter stehenden Regler lassen sich Länge und Breite des Teppichs anpassen, der Preis berechnet sich dann automatisch.
Das Reinigen eines 6 m2 großen Veloursteppichs kostet demnach beispielsweise 73,80 Euro in Heidelberg, oder 109,60 Euro in Hamburg. In sechs Schritten gibt der Kunde dann seine Ware auf. Ob der Wohnort im Einzugsgebiet liegt, prüft der Kunde in einem ersten Schritt, indem er seine Postleitzahl eingibt. Deckt der Service dessen Straße ab, erscheinen Tourdaten, aus denen ein Abholtermin gewählt werden kann. Passt kein Termin, schlägt das System vor, einen Abholort, etwa eine Garage, zu bestimmen, oder den Teppich selbst bei der Partnerreini- gung abzugeben.
Das Gleiche gilt im dritten Schritt: einen Rückgabetermin finden. Passt keines der Zeitfenster, lassen sich auch Nachbarn eintragen, die den Teppich annehmen. Erst dann gibt der Kunde Kontaktdaten wie Name, Wohnort, E-Mail-Adresse und Telefonnummer an. Im letzten Schritt lassen sich Anmerkungen wie Schäden am Teppich oder besondere Flecken einfügen.
Nach der Eingabe bekommen Kunden ei- ne Bestätigung ihres Auftrages. „Sie enthält die Terminbestätigung und den Kontakt zur jeweiligen Teppichreinigung“, sagt Bös. Zeitgleich geht auch bei dem jeweiligen Betrieb eine E-Mail ein. Bis zu 15 solcher Nachrichten landen pro Monat in Runtes Postfach. Er ist zufrieden: „Es steht ja noch am Anfang.“ 200 Teppiche bearbeiten seine 21 Mitarbeiter täglich, seit Corona sogar 250. „Letztes Jahr war ein außergewöhnlich starkes Jahr“, betont er – das stärkste seit 18 Jahren. Den anfänglichen Umsatzeinbruch im März fing der 1957 gegründete Betrieb bereits Ende April wieder auf. Im Juni übertrafen die Auftragsbücher den Stand von 2019. Als Grund für die florierenden Geschäfte sieht Runte den Direktvertrieb. Schon lange vor der Pandemie holte er Teppiche
in einem Umkreis von 150 km rund um Frankfurt direkt von Kunden ab. Zudem feilt der Unternehmer seit 15 Jahren an seinem Onlineauftritt, schaltet, um leichter bei Google-Suchen gefunden zu werden, Anzeigen beim Online-Werbedienst „Google Ads“ und nutzt über die Plattform „Google My Business“, die das Unternehmen im Netz ähnlich wie ein Brancheneintrag vorstellt, Bewertungen, um neue Kunden zu erreichen. Diese Anstrengungen zahlten sich im Laufe des ersten Lockdowns aus. Das Bedürfnis nach Hygiene stieg. Während in den 400 Annahmestellen kaum noch Teppiche abgeben wurden, stieg die Nachfrage nach Hol- und Bringdiensten – und Verbraucher stießen auf die Runte Teppichreinigung.
Damit Kunden Betriebe wie den aus Bruchköbel noch besser finden und ihre Ware mit wenigen Klicks online aufgeben können, arbeiten bei JL-Clean neun Personen an der IT und am Marketing. Neben Studenten beschäftigt das Start-up hauptsächlich IT-Experten. Das Team organisiert sich ausschließlich digital über Messenger- und Projektmanagementtools. „Wir sind nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden.“ Ein Vorteil, findet Bös, nur zwei Mitarbeiter arbeiten Vollzeit: „Wir sind in der Wachstumsphase.“
Genügend Geld für alle bringe das Geschäftsmodell noch nicht ein. Weder Curtius noch er zahlten sich Gehalt aus. „Aber das Modell scheint zu funktionieren“, schiebt Bös nach. Deshalb suchten die Gründer Investoren und verkauften Minderheitsanteile, um JL-Clean weiter auszubauen. Der Großteil fließt dabei in die IT, genauer gesagt in die Personalkosten der Entwickler. Hinter der Website steckt nämlich mehr Technik als Nutzer auf den ersten Blick vermuten.
„Die Teppichreinigungen sind nur auf den ersten Blick gleich“, sagt Bös. In den Details aber arbeite jeder unterschiedlich. Er nennt drei Beispiele: Touren, Feiertage und Preise. Manche Betriebe organisieren ihre Fahrten so, dass Kunden schon im Voraus zwischen Zeitfenstern von zwei bis drei Stunden wählen können. Andere planen kurzfristiger: Kunden könnten für einen Abholtermin zwar ein Datum wählen, erfahren die genaue Uhrzeit aber erst wenige Tage vorher. Für die Entwickler bedeutet das, für jede Partnerreinigung muss die Funktionsweise der Plattform eigens angepasst und konstruiert werden. „Manche rufen eine halbe Stunde, bevor sie kommen, an“, ergänzt Bös. Auch diesen Service bildet seine Plattform ab – und zwar mit einem Häkchen, das Kunden setzen und dieses Angebot damit annehmen können.
Ebenso unterscheiden sich laut Bös die Abläufe bei Feiertagen. Manche ließen Touren ausfallen, andere verlegten sie. Dabei wählten die einen Betriebe den Vortag, die anderen den Folgetag. Neben den Fahrten gestalten Unternehmer zudem einen wesentlichen Punkt unterschiedlich: die Kosten. „Nicht jeder berechnet den Preis pro m2.“ Manche nehmen die Teppichgröße als Grundlage, andere nutzen komplexere Modelle und klassifizieren Teppiche nach der Länge ihrer Fasern in weniger als drei Zentimeter oder darüber. Damit der Preisrechner auf der Plattform bei allen Anbietern gleich funktioniert, muss dieser für jeden Partner neu programmiert werden.
Bis eine neue Partnerreinigung den ersten Auftrag über JL-Clean bekommt, könnten daher bis zu zwei Monate vergehen, schätzt Bös. Denn zuerst müssten die Stammdaten des Betriebs, die Tourenlisten und die zugehörigen Postleitzahlen in die Datenbank eingegeben, der Preisrechner programmiert und die jeweilige Stadt als Seite angelegt werden. Für die Vermittlung der Aufträge zahlen die teilnehmenden Betriebe Provision. „Wir verstehen uns als digitale Annahmestelle“, vergleicht Bös. Der Betrag bewege sich daher in ähnlicher Höhe. Konkrete Zahlen möchte er nicht nennen.
Neben der IT setzen die Gründer auf Marketing. JL-Clean will neue Kunden ansprechen und ein Bewusstsein für saubere Teppiche schaffen. Ihre Botschaft: Mit Staubsaugen ist es nicht getan. Selbst, wenn der Teppich keinen erkennbaren Schmutzfleck hat, Bakterien, Keime oder Schimmelsporen können sich in dem Material einnisten. Als Zielgruppe sieht Bös online-affine Kunden, Haustierbesitzer und junge Eltern. Der Plan geht auf, bestätigt Runte. Die Aufträge, die er über JL-Clean bekommt, stammen überwiegend von jungen Familien. Klassischerweise ziehe seine Werbung eher ältere Kunden über 50 Jahre an.
Runte sieht das Start-up als Chance, sein Unternehmen am Markt zu positionieren. Er weiß, dass nicht alle Kollegen seiner Meinung sind. Manche befürchteten, dass die Plattform einen Kannibalismuseffekt provoziere. Genau das möchte Bös nach eigenen Worten nicht. Pro Stadt akquiriert JL-Clean nur einen Partner – und zwar ganz bewusst. Man wolle sich von anderen Angeboten für Handwerksbetriebe, die wie My-Hammer auf Preiskampf setzten, abgrenzen. „Es gibt bestimmt günstigere Angebote“, sagt er, seine Plattform aber garantiere eine hochwertige Dienstleistung. „Es gibt viele schwarze Schafe“, erklärt Bös sein Vorgehen und bezieht sich auf Abzocker, von denen immer wieder in den Medien zu lesen ist. Sein Start-up aber soll für Qualität stehen, betont er. Bevor er also mit einem Betrieb kooperiert, will Bös die Personen und Abläufe dahinter kennenlernen. „Wir sprechen mit den Geschäftsführern und lassen uns die Waschhallen zeigen.“ Dass seine Strategie aufgeht, liest er an den Kundenreaktionen ab. Beschwerden habe es bisher kaum gegeben. Den Gründern schwebt daher schon ein neuer Bereich vor, den Kunden bei ihnen online aufgeben: Polstermöbel.
Unseriöse Anbieter machen Teppichreinigern häufig das Leben schwer. Betrüger werben oft über Flyer für vermeintlich günstige Angebote und zocken ihre ahnungslosen Opfer dann mit horrenden Preisen ab. Textilpflegebetrieben rät die Polizei daher: